Mark 51/7: Von Opel zu Volkswagen ist es ein Katzensprung

BOCHUM. Das künftige Hauptquartier von Volkswagen Infotainment in Bochum wächst. Ende 2023 soll es bezugsfertig sein. Eine Baustellenreportage.

Es ist ein Blick wie gemalt. Der Himmel ist zwar verhangen. Aber von hier oben hat Pim Kleissen eine prächtige Aussicht. Der Bauingenieur schaut aus dem vierten Stock des künftigen Hauptquartiers der Volkswagen Infotainment GmbH auf 70 Hektar von Bochums vielversprechender Zukunft: das Wissenschafts- und Technologiequartier Mark 51/7 im Stadtteil Laer - Herzstück des aktuellen Strukturwandels. Genau gegenüber sieht Kleissen das Überbleibsel des vorangegangen Strukturwandels, die frühere Opel-Hauptverwaltung. Sie firmiert heute unter dem Begriff O-Werk.

Räumlich ein Katzensprung, technologisch ein Quantensprung

Für das alles, den Übergang von Gestern ins Morgen, hat der Projektleiter allerdings wenig Sinn. Seine Aufgabe ist schon anspruchsvoll genug. Bis Ende 2023 soll er mit einer bis zu 160-köpfigen Mannschaft des Immobilienentwicklers Ten Brinke den neuen Sitz einer der Softwareschmieden von VW aus dem Boden stampfen. Exakt dort, wo 50 Jahre lang Opel-Mitarbeiter ihre Autos parkten, während sie im Werk am Band standen oder hinter dem Schreibtisch saßen, entsteht das Hauptquartier von Volkswagen Infotainment. Räumlich ist es nur ein Katzensprung von Opel zu Volkswagen, technologisch ist es ein Quantensprung. Hier werden bald Soft- und Hardwarekomponenten in den Bereichen Vernetzung und Datenaustausch für alle Fahrzeugmarken aus dem VW-Konzern entwickelt.

Ausgelegt sind die vier Gebäude mit der Entwicklungshalle als Herzstück ursprünglich für 800 Mitarbeiter. Aber da das Bochumer Tochterunternehmen des Weltkonzerns schon jetzt 900 Beschäftigte zählt und weil sich in Zeiten von Corona ein flexibles Arbeitsmodell mit dem Wechsel von Homeoffice und Präsenztagen im Büro bewährt, werden künftig „mehr als 1000 Menschen hier arbeiten", sagt Tobias Nadjib, der kaufmännische Geschäftsführer von Volkswagen Infotainment. Einen festen Schreibtisch werden nur noch die wenigsten haben.

Ein völlig neuer Blick auf das einstige Werksgelände

,,Ich weiß auch noch nicht, wo ich sitzen werde", sagt Technik-Geschäftsführer Bernhard Krauße. Später wird es einmal so funktionieren: Wer ins Büro kommt, der zieht online ein Ticket und bekommt am gewünschten Tag einen Platz im Haus zugewiesen. Nicht ungewöhnlich in Zeiten, in denen sich viele Arbeitgeber an die Bürowelt der Zukunft herantasten. Schon gar nicht dort, wo Projektarbeit - und darum geht es fast immer bei der Entwicklung von Software für die Autos der Zukunft - im Vordergrund steht.

Wer vom Opel-Ring, der qua Ratsbeschluss nun Tsukuba-Ring heißt, auf das frühere Werksgelände zusteuert, dem eröffnet sich ein völlig neuer Blick: Geblieben ist im Zentrum die frühere Opel-Verwaltung mit der markanten Rotunde davor. Links und rechts aber wachsen Bürokomplexe in den Himmel: auf der eine Seite der zweite Teil des O-Werk-Campus der Landmarken AG, auf der anderen eben das Hauptquartier von VW Infotainment.

Bauherr Ten Brinke investiert 78 Millionen Euro

Die Software-Denkfabrik indes mietet den Gebäudekomplex nur. Eigentümer bleibt Bauherr Ten Brinke, der 78 Millionen Euro in das Projekt investiert. Die Niederländer sind eine große Nummer auf dem europäischen Immobilienmarkt. Eine Milliarde Euro setzen sie jedes Jahr um. „Etwa 700 Millionen Euro allein in Deutschland“, sagt Geschäftsführer Jens Wantia.
Geschäftig geht es an diesem Morgen zu auf der Baustelle.
Sie sind zwar ganz gut im Plan. Aber schon in der ersten Phase des Projekts gab es einen Schreckmoment. „In Belgien wurde gestreikt. Deshalb kamen eine Zeit lang statt 15 bis 20 Lkw mit Betonteilen am Tag nur ein Viertel davon hier an“, sagt Co-Projektleiter Michael Buskamp. „Als wir davon erfahren haben, habe ich schon erst einmal geschluckt“ gesteht Tobias Nadjib. „Aber die Furcht vor dem Platzen des Zeitplans habe sich schnell gelegt. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt Nadjib. „Das hier ist eine gut organisierte Baustelle.“

1000 Tonnen Stahl und 70 Kilometer Kabel

Die Baufortschritte sind unübersehbar. Eine Menge Material wird hier im Bochumer Boden verbaut: 1000 Tonnen Stahl, 10.000 Quadratmeter Fertigteilwände. Dazu 18.800 Quadratmeter Hohlkörperdecken. Sie würden aneinander gereiht eine Strecke von Mark 51/7 bis zur Veltins-Arena auf Schalke ergeben. Fast 7000 Kubikmeter Beton werden vor Ort gegossen und und und. Auch heißt es: Klotzen statt Kleckern. 70 Kilometer Kabel werden verlegt, mehr als 11.000 Quadratmeter Teppichfliesen auf den Boden gelegt.

Auch das Dach wird nahezu völlig verbaut: nämlich mit einer Photovoltaikanlage. Den gesamten Strom verbrauchen die Softwareentwickler selbst. Und selbst das wird gerade einmal zehn Prozent des gesamten Bedarfs des Unternehmens sein. „Wir betreiben ein stromintensives Geschäft“, heißt es.

Kein Zaun, das Gebäude schützt die Firmenwerte

Hinter verschlossenen Türen, versteht sich. Schließlich wird in Laer künftig an hochsensiblen Produkten getüftelt. Topsecret. „Aber wir werden keinen Zaun um unser Firmengelände ziehen“, sagt Tobias Nadjib. Mag der Bau auch ein „schnörkelloses Gebäude“ sein, wie es heißt. „Wir setzen auf die inneren Wert“, sagt der Geschäftsführer über das künftige Hauptquartier. Es sichert sich und seine sensiblen Daten. Hightech innen und Hightech außen. Die neue Arbeitswelt.

Dieser Artikel ist am 24.10.2022 in der WAZ Bochum erschienen.

Beteiligte Unternehmen

  • Niederlassung Gendringen
    (ehemals Industriebau Imetaal)
  • Ten Brinke